Dhaiyna Paritras
Akîbet Ni Laratusai
Reist man von Nord-Westen her in die Tá'akîb Laratusaî bekommt man ein beeindruckendes Bild zu Gesicht: Es scheint, als würde praktisch jeder Rechtschritt des vom Regenwald befreiten Gebietes von einer friedlichen Decke aus Hirse-,Hanf- oder Reisfeldern bedeckt sein. Die Bauern und Pflanzerinnen, die hier leben, treffen sich allabendlich in dem Gasthaus in Yah'Kesen, um sich neue Geschichten und Ereignisse zu erzählen. Es fällt dabei auf, daß dieser Ort, wie fast jedes Gasthaus der Provinz, zu einer wahren Gerüchteküche geworden ist. Man unterhält sich gerne über die neue Akîbet, die es geradezu zu beabsichtigen scheint, daß man jene Märchen und Geschichten über sie erfindet. Gewiß ist nur, daß die junge Frau, die man auf Anfang Zwanzig schätzt, Borongeweihte aus Al'Anfa ist. Sie trägt es auch bei jeden ihrer öffentlichen Auftritte schamlos zur Schau. Will man jedoch mehr über sie erfahren, so müßte man einfach nur die verschieden Vorstellungen des Volkes in einen Topf geben. Das Ergebnis könnte dann folgendermaßen aussehen:
Geboren als Tochter reicher Plantagenbesitzer, wurde Dhaiyna Paritras schon im frühesten Kindesalter in die Obhut der Priester der "Totenstadt" gegeben. Nach langjähriger Ausbildung wurde sie zur Priesterin geweiht und verließ mit einem Schiff die Stadt, welches unglücklicherweise Schiffsbruch erlitt. Mittellos und ohne Perspektiven schloß sich die einzige Überlebende des Unglücks einer Abenteurergruppe an, sah jedoch in der Bekämpfung des "Bösen" bald ihre borongewollte Aufgabe und verbrachte so die nächsten fünf Jahre auf diese Art. Schließlich kam der Tag schmerzlichster Trennung auf sie zu, und sie kehrte zurück nach Al'Anfa, wo sie allerdings nicht mehr erwünscht war. So flüchtete sie im letzten Moment aus der Stadt und kam ins Kemi-Reich.
Natürlich kann niemand mit Gewißheit sagen, ob sich ihr Leben tatsächlich so abgespielt hat. Wenn aber nicht, so ist es sehr nah an der Wahrheit. Sicherlich sollte man sie persönlich kennenlernen, doch so einfach wie es sich anhört, ist das nicht. Wenn man als einfacher Bauer oder einfache Bürgerin in ihrer Residenz in Djett vorsprechen möchte, so braucht man schon einen guten Grund, zum Beispiel einen Streit, den es zu schlichten gilt oder einen Elefanten, der die Reisfelder zertrampelt. Die Akîbet nimmt regelmäßig am Gottesdienst teil, führt ihn sogar hin und wieder selbst. Hier kann man sie häufig antreffen, und seitdem die Akîbet an den Gottesdiensten teilnimmt, gehen auch immer mehr Bürgerinnen und Bürger der djetter Oberschicht in die Boronkirche, um bei der Akîbet Wohlgefallen zu erreichen. Doch etwas mulmig wird einem schon bei diesen Gebeten, gerade wenn die sonst eher schweigsame Akîbet einen kurzen Text zur Erinnerung an die Gebote des Gottes aufsagt: Die bildhübsche Frau, die in einer altmodischen schwarzen Robe auf dem Altar steht, mit ihren dunklen Augen ausdruckslos in die Leere blickt und ihr Gesicht in eigenartiger Weise mit schwarzen Schnörkeln bemalt hat, beginnt dann mit einer ungemein gefählichen Stimme, die so lieblich ist, wie sie brutal werden könnte, in einem altmodischen Dialekt zu sprechen.
Zur Zeit ist alles friedlich in der Laratusaî. Ein Schleier des Friedens scheint über dem Land zu liegen, seitdem die Akîbet das Lehen zugeteilt bekommen hat. Von der Politik des Kemi-Reiches ist hier wenig zu spüren. Nur wenige scheinen sich hier ernsthaft mit den Intrigen auseinanderzusetzen, und wenn das Gesprächsthema einmal in diese Richtung geht, so sind die Gaboni, die Waldmenschen, meist die Verursacher desselben. Man versteht sich nicht gut mit ihnen, und dieselbe Stimmung hat sich auch auf die Akîbet übertragen. Zwar hat sie schnell, aber nur höchst unwillig, den Holzschlag eingeschränkt, jedoch scheinen ihr die Waldmenschen ein Dorn im Auge zu sein, den man so bald nicht hinausziehen kann. Auf den ersten Blick mag das etwas unmenschlich klingen, aber der wahre Grund für ihre mißmutige Haltung ist jedoch, daß die Ausdehnung des Nutzlandes für eine Provinz wie die Laratusaî von größter Wichtigkeit ist. Das Land ist fruchtbar, und wenn man die Erträge vergrößern will, so braucht man mehr Land.
Nun, man kann einmal gespannt sein, wie sich das Land und die Politik desselben unter dem Einfluß der neuen Akîbet noch verändern wird.
Aus dem Bericht des Thirion Landerfels, einem reisenden Gelehrten
Dhaiyna Paritras sah im Wüten eines Untoten und einem religlös motivierten Aufstand in ihrem Lehen ein Zeichen Borons, mit der Er ihr sein Mißfallen über ihre Regentschaft ausdrücken wollte. Im Firunmond 28 S.G. trat sie von allen Ämtern und Würden zurück, um fortan als Missionarin die Waldmenschen zum Wahren Glauben zu bekehren.