Kirchengeschichte

Die Hl. Borons-Staatskirche besteht seit 4000 v. S.G. und wurde gegründet durch den Hl. Kacha, durch den sich der Allmächtige Rabe seinem Volke offenbarte.
Das heutige Königreich der Kemi ist de jure eine theokratische Erbmonarchie des Hauses Setepen, d.h. daß die Confession des Königshauses zugleich zur Staatsreligion erhoben wird, wobei gemäß altkem'scher Überlieferung aus den Königsgräbern auf Laguana - dem keineswegs widersprechend - nur diejenigen den Kemi-Thron besteigen dürfen, die zuvor selbst die Weihen des Hl. Raben empfangen haben (Nisut Peri III. z.B. wurde bereits in ihrem 4. Lebensjahr zur Boroni gesalbt!).
Der Königinnen- oder Königstitel, die Krönung zur Nisut oder zum Nefer mit der von Boron verliehenen königlichen Gewalt, impliziert zugleich die Erlangung der höchsten geistlichen Würde, denn theoretisch ist es die Königin allein, die kultische Handlungen im Namen des Hl. Raben vollziehen darf. Doch schon der hl. Kacha übertrug dieses Recht auf eine auserwählte Geweihtenkaste, die in seinem Namen handelte - und so ist es heutzutage so, daß Ihre Eminenz Boronya von Nedjhit in geistlichen Fragen die höchste Autorität im Kemi-Reich verkörpert, ausgenommen die geweihte Nisut äußert sich explizit ex cathedra.
Seit jeher spielte der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode für die Kemi eine besondere Rolle, und so war man auch seit frühester Zeit bestrebt, dieses unter göttlichen Schutz zu stellen. Dann aber offenbarte sich Kacha, der das Volk lehrte, daß die Seelen der Gestorbenen nach ihrem Tode im Totenreich weiter existieren, daß sie auf Bestattung und die Fürsorge der Nachlebenden Anspruch haben und daß sie jederzeit beratend, helfend oder strafend in die Welt der Lebenden eingreifen können.

 

Die Kemi erwählten Kacha zu ihrem ersten Nefer, und allein mit der Kraft seines Glaubens meisterte er die "Zehn Großen Fährnisse", denen sich niemand vor ihm zu stellen gewagt hatte. Die Wundermacht, die ihn selbst gesandt hatte, ließ Kacha in der Gestalt eines Raben verehren, die der Gott zu Zeiten annähme und die IHM besonders gefällig sei. Nach der Entrückung - andere nennen es Heimgang - Kachas an die Seite des Herrn ist es erst wieder die hl. Peri (I.), die durch ihr weltliches wie geistliches Wirken in den Annalen der Staatskirche besonders Erwähnung findet. Unter ihrer Ägide verdichtet sich der Glaubensgrundsatz zu einer Überzeugung, daß ein Zusammenhang, ja die völlige Einheitlichkeit von Glauben und tätigem Leben als hehrstes Ziel zu gelten habe. Erstmals fand der Gedanke Ausdruck, daß die sakramentale Kraft des Glaubens verloren gehe, wenn der oder die Gläubige erst die Gebote des Herrn vernachlässige - im kem'schen Totenglauben waltete der Rigorismus, wonach alle groben Sünderinnen und Sünder und die Barbaren aus den umliegenden Wäldern vom Reich der Toten ausgeschlossen seien. Peri erkannte auch, daß der Umgang mit der Gottheit besondere Qualifikationen erfordere, und so gelangte die Kaste der Priesterinnen und Priester zu allerhöchstem Ansehen - sowohl als Vertreterin der Menschen vor dem hl. Raben, wie auch als Vertreterin des hl. Raben vor dem Menschen.
Unter der Herrschaft der 3.Dynastie begann die Errichtung der geheimnisumwitterten Königsgräber auf der fortan heiliggesprochenen Felseninsel Laguana, wo seitdem beinahe sämtliche Nisuti und Neferi der Kemi bestattet wurden. Hatte man die Verstorbenen bis dahin hockend in ovalen, später rechteckigen Gruben bestattet, so weihte man ihnen - besonders den heimgegangenen Königinnen und Königen - nun palastartige unterirdische Krypten, natürliche Mausoleen oder kunstvoll gestufte Pyramiden. Zu jener Zeit ward den Geweihten des Herrn auch die Kunst der Einbalsamierung zuteil, den Toten wurde als Opfer ins Grab mitgegeben, was sie zur standesgemäßen Weiterführung ihres Daseins im Totenreich brauchen würden und was ihnen Zeit ihres Lebens von ihrem persönlichen Eigentum besonders nahegestanden hatte: Waffen, Schmuck, Hausgeräte, Kleidung, Speis und Trank. Daß ihnen auch Haustiere und Bedienstete mitgegeben wurden, war in jener Zeit nicht unüblich. Erst später wurden solche Menschenopfer als barbarisch verboten (die heutige Nisut läßt treuen Gefolgsleuten dadurch Ehre über den Tod hinaus zuteil werden, daß sie sie in einer Wächterkammer ihrer eigenen Pyramide bestatten läßt).

 

Aus der langen Reihe der geisterfüllten Confessores und glorwürdigen Märtyrerinnen, deren Namen die hl. Borons-Staatskirche in ihrer Kirchenhistorie festhält, ragt der der Märtyrerin Peri (II.) besonders hervor. Gilt sie zum einen als Inkarnation der hl. Peri gemäß dem kem'schen Glauben an die "Wiederkunft der vollkommenen Seelen", war sie zum anderen die Erste, die mit der schwarzgleißenden Klinge Mourtuorum gegen die ungläubigen Barbaren ins Feld zog, mit der heiligen Reliquie des Herrn.
Der weiseste ihrer Nachfolger, der Nefer Monthu, der weit mehr Priester denn König war, verkündete, die Geweihtenkaste allein verfüge über die Mantik, also das Wissen Götterzeichen korrekt zu deuten. Dem folglich liegen die Kompetenzen der Geweihtenschaft in der Verantwortung für die richtige, traditionsgemäße und gottgefällige Kultausübung, sowohl als "Erzieherin" des Einzelnen, wie auch als Ratgeberin des Staates. Es ist an den Geweihten, Ursprung und Bedeutung der Kultstätten und -handlungen und ihre Beziehung zum Hl. Raben zu erklären. Man erwartete von den Priesterinnen und Priestern kultische Reinheit und sittliche Untadeligkeit. Nebst intensivem geistlichen Studium wurde oft eine maßlose und bizarre Askese betrieben, die völlige Armut der Rabendienerinnen und -diener forderte:

 

So verachtet den Prunk der weltlichen Fürsten
Der Herr wird geehrt durch ein reines Herz
Durch gute Taten und Frömmigkeit
Die Reichen können niemals wahre Gläubige sein
Solange Armut, Not und Verzweiflung herrschen.
(Grabinschrift auf dem Sarkophag Prinz Dewens, Sohn der Nisut Imenhat I.)

 

In späteren Zeiten der Dekadenz und des allgemeinen Sittenverfalls im Kemi-Reiche, besonders unter der Herrschaft des grausamen Tyrannen Nefer-Neserkara II., war es Usus geworden, den Toten Papyri mit religiösen Texten mit ins Grab zu geben. Zunächst handelte es sich nur um Zusammenstellungen klerikaler Sprüche, die den Toten den Übergang ins Totenreich erleichtern sollten. Später folgten Papyri mit der Bitte an das Herz, vor der Seelenwaage Rethon nicht gegen den oder die Tote auszusagen. Erst der hervorragende Hohepriester Sabar verbat die heute ketzerisch anmutende Sitte den Toten sogenannte 'negative Sündenbekenntnisse' mitzugeben, worin getreulich aufgelistet wurde, welche sündigen Taten der oder die Dahingegangene im Leben nicht begangen haben will.
Trotz des Armutsgebots gelangte die Kirche zu jener Zeit durch adlige Schenkungen zu großen Grundherrschaften aus denen die geweihten Hátyáts und Repas aufgrund ihres immensen Bildungsvorsprungs gegenüber den gemeinen Regenten gehörigen Reichtum erwirtschaften konnten (auch die Tradition der heutigen Kirchenprovinzen Tárethon und Terkum hat ihren Ursprung in jener Zeit).
Zur Zeit der 14.Dynastie schließlich wird Laguan, dem Kommandeur der Fédàykîm-Leibgarde der Nisut Ela VI., in einer nächtlichen Vison gewahr, daß er auserkoren sei, einen Schwertbund von gottgefälligen Streiterinnen und Streitern, den "Orden der Wächterinnen und Wächter des Kultes des Hl. Raben zur Insel Laguana", zu gründen. Wenn nun ein Mensch seine Grenzen überschritt und sich im Übermute dem Gotte gleichstellte, seine Winke verachtete, über seinen Kult spottete und Verbrechen beging, die die vom Hl. Raben gewollte Ordnung verletzten, so forderte dies ein Eingreifen des Laguana-Ordens, wie er fortan in der Kurzform geheißen wurde, entgegen dem bis dahin geltenden Gebot des Herrn:

 

Ich bin der Richter
Ich bin der Rächer
Ich bin es allein
(Auszug aus den Kacha-Apokryphen)

 

Damals wie heute untersagte der Hl. Rabe seinen Gläubigen die Missionierung der Ungläubigen mit Feuer und Schwert:

 

Und so strömten die Gläubigen in SEIN Haus,
Gegürtet das Schwert.
Und sie riefen: 'Herr, oh Herr! Stärke uns!
Auf daß wir zerschmettern die Ungläubigen.
Ihr Blut soll vergossen werden,
Ihre Häuser verbrannt, auf daß keine Spur mehr bleibe.'
Doch der Herr sprach zu SEINEN Kindern:
'Lasset ab von Eurem Tun!
Nicht durch Mord und Greueltat werdet ihr siegen.
Wollt ihr mir zur Freude dienen,
So lebt wie ich's euch geheißen.
So auch die Ungläubigen bemerken müssen,
Daß Unser Wege der rechte ist!'
So also sprach der Herr,
Und SEINE Kinder taten wie ihnen geheißen -
Und siehe: Die Ungläubigen erlernten die Liebe zum Herrn.
(Papyrus des Priesters Hereb-Senui, 11.Dynastie)

 

Die gegenwärtige Kirche

Auch im heutigen Kemi-Reich herrscht wie einstmals unter Nisut Peri III. eine weitestgehende Religions- und Glaubensfreiheit (was aufgrund des vorherrschenden Völkerkonglomerats unabdingbar scheint). Dennoch hat die Vorherrschaft der Alleinseligmachenden und Heiligen Borons-Staatskirche (wie man den Kult seit dem Erscheinen der bosparanischen Conquistadores nennt) überdauert. Der Einfluß der unterschiedlichen Kulte richtet sich in unseren Tagen nach dem Anteil ihrer Anhängerinnen und Anhänger an der Gesamtbevölkerung des Königreiches, was sich wiederum deren Vertretung im Heiligen Konzil zu Khefu niederschlägt.
Entgegen der Glaubenslehre der nördlichen Länder sieht man Boron keineswegs als lediglich einen Teil der Unteilbaren Zwölfe, sondern preist ihn wie in Al'Anfa als Götterfürsten - vergleichbar dem Ansehen des Herrn Praios in den Nordlanden. Die Kulte seiner "elf göttlichen Kinder" akzeptieren die Vormachtstellung des Hl. Raben, wohingegen die praiosdominierten Zwölfgötterkulte wie auch die Verehrung Rastullahs, H'Rangas oder Kamaluqs - gemäß dem Gesetz der Religionsfreiheit - als staatlich geduldete Irrlehren anzusehen sind. Sie dürfen ihren Kult frei ausüben, allerdings wird ihnen die Einziehung eines Zehnten sowie jegliche Missionstätigkeit untersagt.

 

Nichstdestotrotz können auch die Geweihten der genannten Gottheiten Einzug ins Heilige Konzil halten, wenn sie über eine entsprechende Schar von Gläubigen verfügen. In gemeinsamer Beratung wird dort über Probleme entschieden, für die es in den altkem'schen Überlieferungen keine Antworten gibt. In der apokalyptischen Hoffnung auf die "Sammlung der Zerstreuten", vor allem aber der unbedingte Glaube an die Gegenwart Borons (bzw. der entsprechenden anderen Götter) während der Versammlung, kam man überein, daß das Konzil seine Beschlüsse als göttlich inspiriert versteht und absolute Autorität für sie beansprucht.

 

Punin und Al'Anfa

"[...] 'So sei es denn gefügt,' sprach die hagere, hochgewachsene Boroni aus dem Süden. Caja Sá’kurat, Unterhändlerin der Hohepriesterin des Boronkultes im südlichen Königinnenreich der Kemi, erhob sich, schritt gemessenen Schrittes durch die düstere, kühle Ratshalle auf den Thron Seiner Erhabenheit, des Raben von Punin zu und ergriff dessen ausgestreckte Hand.
'So sei es denn gefügt,' erwiderte der alte Mann, drückte die Hand der Kemi fest und verkündete mit lauter Stimme: 'So wollen Wir nun hier und an dieser Stelle Unserer Schwester die Bulle überreichen, mit der Wir Unseren Brüdern und Schwestern im südlichen Nisutreiche der Kemi Anerkennung und Segen aussprechen. Wir anerkennen ihren Weg, den Herrn zu ehren, und achten ihn als gerecht und weise, wiewohl sie denselben Respekt auch der Lehre zu Punin entgegenbringen. So laßt uns nun das neugeknüpfte Band der Einheit durch ein Gebet zu Ihm segnen.'
Noch am selben Abend verließ Schwester Caja an der Spitze ihrer Delegation das sommerliche Almada, um wieder zurück nach Kemi zu reisen und dort von der Wiedergeburt eines alten Kultes zu berichten [...]"
(Aus der Schrift "von der Wiedergeburt eines uralten Boron-Kultes - fünfjährige Verhandlungen in Punin erfolgreich beschlossen" vom 1.FBO. 23 S.G.)

 

Schon seit Menschengedenken verehrte das südliche Dschungelvolk der Kemi einen Totengott als den Fürsten und Vater der anderen Gottheiten. Viele Eroberer hatten versucht, dem Volk einen anderen Glauben aufzuzwingen, doch sie alle waren kläglich an der uralten Tradition der Kemi gescheitert, die - oftmals im Verborgenen und unter ständiger Bedrohung aufrechterhalten -, das Volk niemals vergessen ließ, wer es auch in dunkelsten Zeiten behütete und führte. So war es nicht verwunderlich, daß mit der Krönung Nisut Peri III. Der Boron-Kult zur Staatsreligion des kleinen Königinnreichs erhoben wurde. Doch worin liegen die Besonderheiten dieses, ältesten und zugleich jüngsten Kultes des Boron? Was hebt die Religion der Kemi so vom Puniner Ritus und den als Ketzer und Häretiker verachteten Al’Anfanern ab?

 

Wie in Al’Anfa auch, nimmt Boron, der Herr, in Kemi die unangefochtene Stellung des Götterfürsten ein, was zu früheren Zeiten die freundschaftlichen Bindungen zum Horasiat um ein Haar verhindert hätte. Lediglich die Einschränkung der Kemi, daß die Götterherrschaft des Herrn Praios über die "nördlichen Lande" anerkennenswert sei, verhinderte damals ein Scheitern der Friedensverhandlungen.

 

Im Unterschied zu den prunkvollen al’anfaner Geweihten legen die seit Urzeiten harte Entbehrungen und Mangel gewöhnten kem’schen Boronis erhöhten Wert auf "borongefällige Askese". So ist ihnen jeglicher persönlicher Besitz bis auf Kutte, Pferd und Waffe versagt, da dem Herrn "Bescheidenheit und Demut" gefällig sei. Ein beredtes Beispiel ist hierfür auch die Titulatur der kem’schen Hohepriesterin Boronya Ni Nedjhit: Obschon Führerin eines eigenständigen Kultes ist sie lediglich mit ‘Euer Eminenz anzusprechen.’

 

Angehörige des Kem’schen Kultes nehmen das in Punin streng, in Al’Anfa eher locker befolgte Schweigegebot wenig Ernst, denn wie der Hl. Laguan vor nahezu zweitausend Jahren verkündete: "Nur Seiner Worte Weisheit mag die Blinden zu Ihm führen. So tragt diese Worte hinaus in alle Länder!" Der kem’schen Kirche ist demnach die Missionierung der ungläubigen Waldmenschen und Kolonisten ein wichtiges Anliegen, und selbst die unwirtlichsten und abgelegensten Dschungelgebiete schrecken sie nicht ab.

 

Selbsttötungen zu Ehren des Herrn - wie in Al’Anfa üblich - lehnen die Geweihten Kemis als "bösartige Blasphemie" entschieden ab, denn nur "dem Herrn sei es anheim, zu entscheiden, wann ein Mensch sich einzufinden hat vor Rethon." Und so suchen viele fromme Kemi - insbesondere die Angehörigen der überlebenden uralten Sippen die Nähe zum Paradies des Herrn durch den Dienst im die kem’sche Kirche dominierenden ‘Orden der Wächterinnen und Wächter des Heiligen Raben zur Insel Laguana’, eines bewaffneten Boronsordens, der sich neben dem Kampf gegen Siebtsphärler, Ketzer und Namenlosendiener auch zahlreicher karitativer Aufgaben widmet.