Rhônda Setepen

Prinzessin der Kemi, geächtete Abtrünnige,
selbsternannte Hohepriesterin und Nisut Ni Kemi


Vor nunmehr fast zwanzig Götterläufen, da Nisut Peri zu höchlichem Staatsbesuche am Hofe Ihrer Durchlaucht Sybia von Aranien weilte, trug es sich zu, daß die Rabenkönigin nächtens in ihrem Schlafgemach von einem großgewachsenen, dunkel gekleideten Unbekannten erwartet wurde, dessen erschlichener Zutritt offenbar von keinem der aufgestellten Elitegardisten bemerkt worden war. Nie hat Nisut Peri klargestellt, ob ihr der Fremde Gewalt angetan hatte, und wer er überhaupt gewesen war.
Neun Monde später gebar Peri zu Khefu ihr zweites Kind, ihre zweite Tochter und gab ihr den Namen Rhônda, einerseits der Name der strahlenden Heldin, die dereinst die Kemi von der horasischen Fremdherrschaft befreite, andererseits der Name einer ganzen Dynastie unglückseliger und verfluchter Königinnen.
Wie es die Tradition für die zweitgeborene Princeß gebot, wurde die junge Rhônda schon in frühestem Alter zur Novizin des Ordens des Hl. Laguan gesalbt, um sie für eine spätere geistliche Laufbahn wohl vorzubereiten. Ihre Nutter begegnete dem Mädchen selten, und wenn, dann formell, kühl und abweisend. Um Zuge der al'anfanischen Okkupation wurde das Kind mitsamt seiner älteren Schwester Ela nach Al'Anfa verschleppt, um schließlich im mittelreich'schen Exil die Rückkehr ihrer Mutter zu erwarten. Die Princessin war sieben Jahre alt, als ihre Mutter ihr Land mit Feuer und Schwert zurückgewann, und es hält sich weiterhin beharrlich das Gerücht, daß die Siebenjährige damals eigenhändig einen Menschen tötete. Manch einer glaubt zu wissen, daß es sich dabei um einen Attentäter des kem'schen Kanzlers de Cavazo handelte, der im Auftrag Nisut Peris das unerwünschte Kind zu beseitigen trachtete.
In der Folgezeit betrieb das Mädchen mit einem für sein Alter beängstigendem Ehrgeiz seine Karriere innerhalb des Ordens, wo sie als Ordensnovizin und später als Schwester des ersten Dars zur Trägerin der heiligen Reliquie Mourtuorum bestimmt wurde. Unter der Protektion und dem ständigen Einfluß ihrer Mentorin, Marschallin Boronya von Nedjhit, stieg Rhônda schnell in der Ordenshierarchie auf, und immer lauter wurden böse Gerüchte, leise hinter den dicken Klostermauern geflüstert, die von wenig borongefälligen und skrupellosen Intrigen kündeten, die dem Wort und dem Willen der unheimlichen, verschlossenen Ordensschwester schließlich weitaus mehr Gewicht verschafften, als manches Mitglied der Heiligen Kurie in die Waagschale zu werfen vermochte.
Außer ihrem beängstigendem Machtstreben, ihrem messerscharfen Intellekt und ihrer Skrupellosigkeit wusste man nur sehr wenig über die Eigenheiten Rhôndas zu berichten, zu abweisend und in sich gekehrt ist die junge Frau. So blieb letztlich nur die Hoffnung, daß anerzogene Gottesfurcht und der milde Einfluss des Herrn Boron allzeit über den in ihr schlummernden brennenden Ehrgeiz und ihre kalte Gefühllosigkeit triumphieren mochten.
Doch vergeblich: Im Jahre 26 S.G. verschwand die junge Prinzessin aus Laguana. Es wird gemunkelt, daß ein erneutes Mordkomplotts de Cavazos der Anlaß zur Flucht der Prinzessin gewesen sei, und daß Ordensmarschallin Boronya von Nedjhit die junge Frau in letzer Sekunde bei Nacht und Nebel ins sichere Exil gerettet hatte. Kanzlei und Orden dementierten auf das Schärfste, und so bleibt der Grund für Rhôndas Flucht auch heute noch ein Geheimnis.
Zwei Jahre später vernahm man wieder von der jungen Prinzessin. Im Bürgerkriegsland Anûr, dem wilden und gesetzlosen Ostteil der kem'schen Provinz Yleha führte sie die fanatische Boronssekte der Neo-Corvikaner von Sieg zu Sieg; mit dem klaren Ziel, zunächst Anûr zu erobern, um sich dort eine Basis für den Marsch auf Laguana zu schaffen. Und die Erfolge der Neo-Corvikaner in Anûr ließen für die Kemi Schlimmes befürchten, bereits nach drei Götterläufen hatte die Abtrünnige dort ihr eigenes Reich auf den geschundenen und toten Leibern der einstmals dort lebenden Bukaniere gegründet, nunmehr von bevölkert von ihr bis in den Tod ergebenen Fanatikern und kampfeslustigen "heiligen Kriegern". Ihre Untertanen lieben die "Prinzessin der Dunkelheit" ergeben und fanatisch, was bei einigen gescheiterten Vorstößen kem'scher Truppen nach Anûr schmerzlich bemerkt wurde. Das unübersichtliche und wilde Gelände ließ bis heute keine entscheidende Schlacht zu, so daß einerseits Erkundungsvorstöße und Strafexpeditionen, andererseits Überfälle auf Dörfer und Reisende die militärische Auseinandersetzung prägen. Doch mittlerweile wird der Druck der Neo-Corvikaner auf die kem'schen Grenzprovinz immer stärker, was nicht unwesentlich an den zahlreichen al'anfanischen Dublonen, Söldlingen und Beratern liegt, die Rhôndas Ziel, die Ausrufung eines "bewaffneten Pilgerzugs nach Laguana" in greifbare Nähe rückt.
Die selbsternannte Nisut und Hohepriesterin ist von schwankendem, launischem Gemüt, einerseits sich geühllos an blutigen Hinrichtungen und Folterungen "ungläubiger, horasischer Praiosdiener, brabakischem Paktierergesindel und novadischen Rastullahketzern" delektierend, andererseits mild und rücksichtsvoll zu denjenigen, die ihr grenzenlos ergeben und "dem Herrn Boron gefällig" sind. Sie ist eine mitreißende Predigerin, deren Erscheinung und Aura eine große Faszination ausübt und die mit dem abtrünnigen Rachalton "Pecator" Pâestumai über einen geschickten Strategen und General verfügt. Womit sie den Unterhalt ihrer Söldlinge bestreitet, war lange ein großes Rätsel, aber inzwischen macht Rhônda keinen Hehl daraus, mit den "al'anfanischen Brüdern und Schwestern im Glauben" im Bunde zu stehen, um "ihr Reich endlich vom Unglauben reinigen" zu können.
So skrupellos Rhônda auch sein mag, eine Grenze jedoch wird sie nie überschreiten: Einen Gesandten der ylehischen Paktiererin Zzir'ze, der niederhöllische Hilfe anbieten wollte, ließ Rhônda langsam und qualvoll hinrichten.