Kem'sche Sagen
Die Sage vom Schwarzen Teich
Dieser Teich liegt rechtsseitig des Flusses Tirob, und man erzählt, daß Timu der Moha einmal drei Ruderstangen aneinanderband, doch er konnte kein Ende finden. Da kaufte er in der Stadt ein Knäuel Garn und befestigte an einem Ende eine Eisenkugel, um die Tiefe des Teichs auszuloten, doch das Knäuel lief aus, und noch war kein Grund gefunden.
Kein Waldmensch siedelte je am Teich, denn im Teich, so erzählten die Moha, da lebten die Rhizza, menschenartige Wasserwesen, doch mit großen Mäulern und Flossen statt Händen und Füßen. Die Weibchen der Rhizza aber waren von schlanker Gestalt, doch hatten sie anstelle eines menschlichen Unterleibs einen Schlangenkörper und ebensolche Zähne und eine gespaltene Zunge. Und manche von Ihnen verstanden es, die Gestalt eines Moha-Mädchens anzunehmen. In alten Zeiten, als das Volk der Kemi noch in den Bergen beim Teich wohnte, da umgab sich eine junge Rhizza mit dem Nebel der Gestaltwandlung und sie ging zu den Kemi, um sich mit den jungen Männern zu belustigen. Die Kemi erkannten nicht das wahre Wesen der Rhizza und nahmen sie freundlich auf, und sie schenkten ihr Gold und Kleinodien. Als die Nacht vorbei war, da begleiteten sie zwei Kemi zum Teich zurück, wo sie sich von ihnen verabschiedete. Die Rhizza ging noch viele Male zu den Kemi, und immer brachte sie güldenes Geschmeide mit in das nasse Reich. Dies bemerkten bald ihre Schwestern, und sie waren voller Neid. So beschlossen sie, ihr aufzulauern, denn sie hätten alsbald die Stunde ihrer Rückkehr abgepaßt. Als nun das Rhizzamädchen beim Teich anlangte, da stürzten ihre Schwesten auf ihre zwei Begleiter, die jungen Kemi, und zogen sie in die unergründlichen Tiefen ihres Teichs.
Am anderen Tag sahen die Keim an der Oberfläche des Teiches drei große Blasen, welche blutrot gefärbt waren, und noch heute behaupten Leute, daß alle Jahre an diesem Tage, dem ersten Efferd, dieselben Blasen wieder erscheinen. Man hält sie für die Seelen der zwei Kemi und der Rhizza. Und ab diesem Tage blüht für drei Wochen lang an den Ufern des Teiches das Shadrulin, ein Kraut, bläulich-grün mit roten Blüten. Wer es einnimmt und die rechte Zubereitung kennt, der wird Schätzen gewahr, die dem anderen Sterblichen verborgen bleiben. Sieht man zu jener Zeit schärfer in das trübe Wasser des Teiches, so vermeint man sogar goldene Armbänder, Ringe und Halsketten zu sehen - die Goldgeschenke der Kemi an das Rhizzamädchen.
Soweit,die Sage, die vermutlich von den Waldmenschen stammt. Jeder aus Hôt-Alem kennt irgendwie eine solche Legende vom rätselhaften Volk der Alten Kemi, und auch den Teich gibt es tatsächlich, wie uns Gerion, der graue Wanderer berichtet hat. Allerdings ist er nur bei genauer Ortskenntnis und etwa einem halben Tagesmarsch durch unwegsamen Urwald zu erreichen. Und sosehr sich auch Gerion bemüht hat, er hat nichts gesehen am Grunde - allerdings ist das Wasser doch verdammt trüb, und er war auch nicht im Efferdmond am Teich, bedenket! Und trotzdem, auf so ein vages Gerücht hin in den Dschungel ... nee, nee...
unbekannter Verfasser
Das Märchen von Urhelsam und Leham
Es begab sich zu jener Zeit, daß ein mächtiger König den Süden des Landes regierte. Sein Name wardt Rurtrech Übelzwinger. Mit harter Hand führte er sein Land, doch war sein wirken nicht ohne Weisheit und Mitgefühl. Jahre vergingen und seine Königin Alea Vogelslied gebar ihm durch die Gnade der Götter endlich Zwillinge. Sie sollten fortan Urhelsam Herr aus Fels und Leham Herr aus Flammen genannt werden. Von Anbeginn war die Zwillinge von den Göttern gesegnet. Bei hatten von ihnen große Macht erhalten. Urhelsam wurde zu einem Herrn der Felsen, so daß selbst die felsigen Gebeine des Landes seinem Willen gehorchen mußten. Sein Zwillingsbruder stand ihm jedoch in nichts nach. Da Urhelsam dem Fels gebot, gehorchten Leham die Lohen, Flammen und Feuer. Diese Macht wardt so gewaltig, daß selbst die Feuer aus Ingrimms Schmiede ihm gehorchten. Doch mit jeder besonderen Gabe kommt auch die Verantwortung einher. Dies wußte auch Rurtrech Übelzwinger. So ließ er seine Zwillinge von den besten Gelehrten nicht nur in den größten Künsten des Landes unterrichten, sondern auch in den Lehren des Seins. Sie schienen schnell und eifrig zu begreifen, nur taten sie sich mit den Lehren des Seins schwer.
Nach vielen Jahren geschah es, daß sich der nun rasch alternde König überlegen mußte, wem er seine Krone vermachen sollte. Doch wie groß war seine Pein, als er bemerkte, daß er dies nicht konnte. Seine Söhne glichen sich im Wesen zur Gänze. Daher fragte er die Götter um Rat, denn ihre Entscheidung sollte dem Land eine gute Zukunft gewähren, das hoffte er jeden Falls. In einem Traum sah er zwei steinerne Türme. Jeder Turm trug das Zeichen eines seiner Söhne. Eine Stimme sprach so dann zu ihm, "Wer der Würdigste ist, der wird Dir folgen. Laß sie sich in der Einsamkeit beweisen." Wie vom Blitz getroffen erwachte nun Rurtrech Übelzwinger und ließ noch bei Nacht seine Baumeister holen.
Es verging kaum ein Jahr, da standen die Türme schon. Nur waren sie nicht in der Einsamkeit errichtet, wie es die Stimme verlangt hatte. Denn er war nun alt und wollte seine Kinder nahe bei sich haben. Der erste Turm war am Feuerfluß gebaut worden und wie es der Name wollte, wählte Leham Herr aus Flammen diesen. Danach hatte auch Urhelsam Herr aus Fels sich für den Turm auf der Steingau entschieden. Beide zog es zu ihrem jeweiligen Element. Sie hatten die Aufgabe ihres Vaters gehört und versuchten sich nun eifrig darin den anderen zu überbieten. Tötete der eine ein Untier, versuchte der andere gar einen Drachen zu erlegen. Dies ging über lange Zeit in dieser Art weiter. Doch waren sie zu nahe bei ihrem Vater Rurtrech Übelzwinger, von dem sie sich zu sehr beobachtet fühlten. Aber das Schicksal nahm seinen lauf.
Die Zwillinge liebten ihre Eltern von ganzen Herzen, doch diese konnten und wollten sich nicht entscheiden, wer der würdigste von ihnen sei. Darauf gerieten Urhelsam Herr aus Fels und Leham Herr aus Flammen in Streit. In seinem Zorn gebot Urhelsam dem Land sich unter Lehams Turm zu heben. Doch war sein Zorn zu übermächtig, daß sich nicht nur das Land unter den Turm hob, sondern auch das weite Königreich seine Gewalt zu spüren bekam. Über diese Urgewalt zerbrach der Turm Lehams. Nun war es an ihn in Zorn zu geraten. Er befahl dem Feuern des Landes wider Urhelsam zu lodern. Doch der Turm seines Bruders war von jenem in weiser Voraussicht, gegen das Feuer gefeit. So wogte seine Feuersturm nach dem anderen gegen Urhelsam Herr aus Fels' Turm.
Wie die Beben und die Felsen zuvor verwüsteten die Feuer nun das Land. Fruchtbare Felder wurden aufgeworfen und zu Asche verbrannt. Wälder wurden zu Gebirgen aus schlackigem Fels. Die Menschen vergingen, so sie nicht vom Boden verschluckt worden waren im Zorn Lehams Herr aus Flammen. Ihr Vater sah, wie sein Land unterging, denn noch konnte er dagegen nichts mehr unternehmen. Das Alter hatte ihn schwach und gebrechlich gemacht. So betete er zu den Göttern, daß sie seinen Kindern Einhalt gebieten sollten, denn jeder wackere Streiter, den er zu ihnen schickte, bezahlte dies mit seinem Leben. Sein Herz wurde ihm ob dieser bitte immer schwerer und so spürte er schon bald den Tod nahen.
Keiner seiner Söhne sollte sein Nachfolger sein, denn es gab schon längst ein Königreich mehr, daß dieser erben konnte. In ihrem geistlosen Wüten hatten sie alles vernichtet. Da hatten die Götter ein einsehen mit den noch verbliebenen Menschen und geboten den Zwillingen Einhalt. Aber diese wollten nicht auf die Götter hören, denn ihre Macht schien deren ebenbürtig zu sein. Denn warum hatten die Götter sie nicht schon früher daran gehindert? a kam es in ihrem Wahnsinn, daß sie den Göttern lästerten. Für Rurtrech den Alten war es schon zu spät. Er ging ein in das Reich der Toten. Erst der Todihres Vaters, dem König, brachte sie zur Vernunft, aber da war der Schaden schon angerichtet.
Die Lästerungen wider die Götter konnten nicht gesühnt werden. Alles Hadern und Klagen half nichts. Als Strafe wurde jeder beiden in das Element verbannt, das wider das eigene stand. Urhelsam Herr aus Fels wurde in die Reiche der Lüfte gekettet, auf daß sein Fuß nie wieder den Boden berühre. Leham Herr aus Flammen, der am greulichsten gewütet hatte, verschwand in den Tiefen des Meeres. Er sollte auf ewig von erstickendem Wasser umgeben sein. Für die Menschen ließen die Götter als Mahnende Zeichen die Reste der Türme der beiden Brüder stehen. An Lehams Fehl sollte die Basaltensäule am Feuerfluß gemahnen. Sein schwarzer Basalt sollte an die Asche auf des zerstörten Lebens erinnern. Der fast unversehrte, schwarze Turm Urhelsams sollte verlassen in den Weiten der Landschaft vergessen werden, die er durch seinen Zorn unfruchtbar und felsig gemacht hatte.
So entzweite ein nichtiger Streit nicht nur zwei Brüder, sondern zerstörte auch noch das Reich ihres Vaters Rurtrech Übelzwinger. Deshalb laßt Euch nicht verblenden und gemahnt Euch an den Weg des Verstehens und Friedens, auf daß es Euch besser ergehen, als den beiden Unglücklichen.
Diese Geschichte wird in Sákem erzählt. Gehört habe ich sie erst vor kurzem durch die Witwe Germgard.